In Großbritannien fehlt noch immer eine detaillierte Strategie für die Agrar- und Lebensmittelpolitik nach dem bevorstehenden Brexit, obwohl der Selbstversorgungsgrad der Insel bei nur etwa 60 % liegt. Darauf hat der Präsident des britischen Bauernverbandes (NFU), Meurig Raymond, in Stoneleigh hingewiesen.
Daraus ergebe sich für die Londoner Regierung die Chance, für die Erhöhung der heimischen Produktion zu sorgen. Raymond empfahl der Regierung, die Erzeugung der leistungsfähigen Produktionszweige zu maximieren. Andernfalls werde Großbritannien auf die Leistungen der heimischen Landwirtschaft mit Blick auf Umwelt-, Wirtschafts- und soziale Aspekte verzichten müssen.
Ein Selbstversorgungsgrad von insgesamt 100 % und mehr sei allerdings nicht anzustreben, erklärte der NFU-Präsident. Vielmehr sei es sinnvoll, weiterhin Produkte zu importieren, deren Erzeugung beispielsweise andere Klimabedingungen erfordere.
Auch britische Wissenschaftler kritisierten zuletzt die Planlosigkeit der Londoner Regierung bei der Lebensmittelpolitik. So warnen Forscher der Universitäten Sussex, London und Cardiff in einem gemeinsamen Bericht, dass der Brexit ernsthafte Risiken für die Verbraucherinteressen, die öffentliche Gesundheit sowie die Unternehmen und Beschäftigten der Lebensmittelbranche mit sich bringe.
Großbritannien beziehe aus der Europäischen Union bislang rund 30 % seiner Lebensmittel, betonen die Forscher. Prof. Tim Lang von der Universität London bemängelt, dass niemand die Öffentlichkeit gewarnt habe, dass der „Food-Brexit“ die nationalen Bezugsquellen für Lebensmittel unterbrechen sowie ernstzunehmende Preis- und Qualitätsrisiken verursachen könne.
Dringend erforderlich seien nun Ideen, woher die britischen Verbraucher ihre Lebensmittel künftig bekommen sollten. Bei zunehmender Knappheit sei mit steigenden Preisen zu rechnen, unter denen vor allem die Konsumenten mit geringeren Einkommen leiden würden, warnen die Wissenschaftler.
Auch über Beihilfen für die Farmer müssten sich die britischen Politiker Gedanken machen, weil die Subventionen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bald wegfielen. Zudem müssten rund 4 000 lebensmittelbezogene EU-Rechtsvorschriften durch nationale Gesetze ersetzt werden. Das betreffe auch Qualitätsstandards für die gesamte Angebotskette.