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Digitalisierung als „Vertrauensmaschine“?

Wieso vertraut die Gesellschaft der Landwirtschaft nicht mehr – dem einzelnen Landwirt aber schon? Kann die Digitalisierung helfen, fehlendes Vertrauen zurück zu gewinnen? Ein Gastbeitrag.

Lesezeit: 8 Minuten

Dieser Beitrag ist zuerst im Magazin f3 - farm.food.future erschienen. Ein Gastbeitrag von Professor Peter Breunig und Kommunikationsexperte Manuel Ermann.

Wer sich mit der Agrarwirtschaft verbunden fühlt, zeigt dies derzeit auf Facebook durch eine Ergänzung des Profilbilds: „No Farmers. No Food. No Future“. Zeitgleich setzen Landwirte mit grünen Kreuzen ein Mahnmal für ihre prekäre Situation. Der Frust in der Landwirtschaft ist groß! Frust über unsachliche Vorwürfe aus Teilen der Gesellschaft, über Widersprüche in den Erwartungen und dem tatsächlichen Kaufverhalten. Und Frust über eine in Teilen inkonsistente und populistische Agrar- und Handelspolitik.

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Jeder in unserer Gesellschaft scheint mitreden zu wollen – auch ohne die nötige Kompetenz. Praktiker fühlen sich dadurch nicht ernst genommen. Wollen sie in den Dialog treten, stoßen sie auf immer mehr Menschen mit vorgefertigten Meinungen. Die Landwirte-Demonstrationen von „Land schafft Verbindung“ waren ein klares Signal: Hört uns endlich zu!

Doch sind Facebookfotos, grüne Kreuze und Trecker-Korsos der Weg aus der Misere? Sich mal Luft zu machen ist gut und richtig, aber nun müssen Lösungen her! Oft werden in diesem Kontext Chancen durch die Digitalisierung angesprochen, jedoch meist ohne konkret zu werden. Wir wollen im Folgenden die Ursachen des Konflikts aus unserer Sicht erläutern und die Chancen digitaler Technologien auf Basis mehrerer Hypothesen diskutieren.

Vertrauen wandert weg von Institutionen

Der Konflikt zwischen Gesellschaft und Landwirtschaft ist auf den Verlust von Vertrauen zurückzuführen. Große Teile der Gesellschaft scheinen der modernen Landwirtschaft keinen Glauben mehr zu schenken. Aber damit ist die Agrarbranche nicht allein: ob Volksparteien, die Kirchen, global agierende Unternehmen oder Verbände – viele Institutionen sind von der Vertrauenserosion betroffen.

Ob Volksparteien, die Kirchen, global agierende Unternehmen oder Verbände: Viele Institutionen sind von der Vertrauenserosion betroffen. - Peter Breunig, Manuel Ermann

Dabei geht die Bedeutung von Vertrauen nicht zurück, sie nimmt zu. Allerdings wandert es weg von zentralen Institutionen hin zu verteilten Netzwerken: Bürgerbewegungen anstelle von Volksparteien, Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften statt Großkonzerne, Kundenbewertungen statt Produkttests, Influencer statt TV-Werbung.

Vertrauen verschiebt sich in Richtung der persönlichen Beziehungen des vorindustriellen Zeitalters, bevor es Massenmedien, Massenkonsum oder Massentierhaltung gab. Nur mit dem Unterschied, dass wir heute durch digitale Technologien nicht mehr an die Grenzen lokaler Verbindungen gebunden sind.

Ursachen für Vertrauensverschiebung

Für diese Vertrauensverschiebung sehen wir drei Hauptursachen:

  1. Ob Dieselskandal bei VW, Datenskandal bei Facebook oder Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche: Oft müssen und mussten Menschen in Verantwortung die Folgen von Fehlverhalten nicht in angemessenem Umfang tragen.
  2. Das Internet und die damit verbundene Demokratisierung des Zugangs zu Informationen zerschlägt alte Hierarchien: Mit ein paar Klicks kann jeder zu jedem Thema ein vermeintlicher Experte werden.
  3. Die Algorithmen sozialer Netzwerke zeigen Nutzern vor allem Informationen, die sie und deren Freunde „liken“. Dadurch entstehen sogenannte Filterblasen, in denen wir die Meinungen zu lesen bekommen, denen wir sowieso nahestehen. Eine faire Auseinandersetzung mit Gegenargumenten findet kaum statt. Die einfachen Antworten der Filterblase sind für viele Nutzer komfortabler, als sich mit Themen in ihrer gesamten Komplexität auseinanderzusetzen.

Die Landwirtschaft befindet sich in einem Dilemma

Die Verschiebung von Vertrauen weg von Institutionen hin zu verteilten Beziehungen zeigt sich auch in der Landwirtschaft: „Die“ Landwirtschaft als Quasi-Institution hat ein miserables Image. Der Beruf des Landwirts wird hingegen hoch angesehen. Das zeigen aktuelle Umfragen. Auch in persönlichen Gesprächen mit branchenfremden Menschen ist das schlechte Image oft nicht in dieser Drastik wahrnehmbar.

In einer sich verändernden und durchaus widersprüchlichen Welt ist es nicht möglich, Menschen kontinuierlich über alle Details aufzuklären. - Peter Breunig, Manuel Ermann

Leider hilft das persönliche Wohlwollen wenig: In Politik und Medien diskutiert man weiter pauschal und vereinfachend über moderne Landwirtschaft. Der Verlust von Vertrauen in Institutionen im Allgemeinen scheint es fast unmöglich zu machen, unsere Branche aus dem Image-Sumpf zu ziehen.

Vertrauen: positive Beziehung trotz Unsicherheit

Um eine Lösung zu finden, müssen wir drei grundlegende Zusammenhänge verstehen, die Vertrauensforscherin Rachel Botsman darlegt:

Was ist Vertrauen? Vertrauen ist wie eine Brücke, die Menschen hilft, den Graben der Unsicherheit in Bezug auf andere Menschen, Organisationen oder Marken zu überwinden. Stürzt die Brücke ein, wird versucht, den Graben mit Transparenz zu „kitten“. Dahinter steht die Annahme, dass vollständige Aufklärung zu Vertrauen führt. Aber Vertrauen ist genau das Gegenteil: Hier besteht eine positive Beziehung trotz Unsicherheit. In einer sich immer schneller verändernden und durchaus widersprüchlichen Welt ist es nicht möglich, Menschen kontinuierlich über alle Details aufzuklären. Wir müssen nachhaltig Vertrauen aufbauen, statt völlige Transparenz herstellen zu wollen.

Wem vertrauen wir? Vertrauenswürdigkeit basiert auf vier Eigenschaften:

  • Kompetenz: Besitzt eine Person, Organisation oder Marke das Können, Wissen und die Erfahrung, eine Aufgabe zu erledigen?
  • Empathie: Die Fähigkeit, sich in die Zielgruppe hineinzuversetzen und auf deren Interessen und Ziele einzugehen.
  • Integrität: Passen unsere Motive und Interessen zu dem, was wir sagen und tun?
  • Zuverlässigkeit: Mit welcher Konsistenz wird eingehalten, was versprochen wurde? Leicht vorstellbar, dass „Schwarze Schafe“ in der Landwirtschaft diese Eigenschaft torpedieren. Hier kann Transparenz und Offenheit einen Beitrag leisten.

Was ändert sich durch den Übergang von institutionellem Vertrauen zu verteiltem Vertrauen? Institutionelles Vertrauen fließt über Institutionen nach oben: zu Experten, Führungskräften oder starken Marken. Die derzeitige Vertrauensverschiebung stellt das auf den Kopf. Denn verteiltes Vertrauen fließt auf gleicher Ebene direkt zwischen Individuen. Dies wird u.a. durch soziale Netzwerke, digitale Plattformen und neue Systeme, wie Blockchain, ermöglicht. Und damit sind wir bei dem Potenzial digitaler Technologien.

Hypothese 1: Vorteile von Digital Farming messen und kommunizieren

Wenn digitale Technologien die Vertrauenswürdigkeit erhöhen sollen, müssen sie gesellschaftliche Ziele adressieren und die Einhaltung und Fortschritte bzgl. dieser Ziele messbar machen.

Bisherige Lösungen im Ackerbau zielen primär auf Kostenreduktion, Ertragssteigerung und Vereinfachung von Abläufen auf landwirtschaftlichen Betrieben. Dabei entstehen oft ökologische Vorteile. Sie werden jedoch selten mitkommuniziert. Neue Ansätze sind die möglichst direkte Messung von gesellschaftlich relevanten Auswirkungen der Landwirtschaft, wie z.B. Nitratsensoren im Boden, automatisiertes Biodiversitätsmonitoring oder die Nutzung der Fernerkundung zur Darstellung ökologischer Leistungen.

Wenn Landwirte damit glaubhaft nachweisen, wie ihre Leistungen dem Gemeinwohl dienen oder zu mehr Nachhaltigkeit beitragen, würden wir durch höhere Kompetenz und Zuverlässigkeit in gesellschaftlich relevanten Fragen Vertrauen aufbauen.

Hypothese 2: Visionen entwickeln, statt sich in Details zu verlieren

Anstatt über einzelne Technologien zu reden, sollten wir positive Visionen des Ackerbaus der Zukunft entwickeln, in denen diese Technologien Teil eines Gesamtsystems sind.

Die Automobilbranche macht es vor: Statt über technische Details zu sprechen, werden Visionen einer nachhaltigen und individuellen Mobilität entwickelt, in denen batterieelektrische Antriebe, autonomes Fahren und digitale Vernetzung Bausteine für ein positives Zukunftsbild sind. Diese Visionen sind leider in unserer Branche wenig verbreitet, könnten die Diskussion jedoch wegbringen von produktionstechnischen Details hin zu einem Dialog mit der Gesellschaft über die großen Ziele.

Hypothese 3: Ökologische Leistungen der Landwirte zum Verbraucher tragen

Wir sollten digitale Technologien nutzen, um neue Wertschöpfungsketten zu etablieren. Sie könnten die Ziele von Konsumenten und die Leistungen neuer Anbausysteme verbinden.

Viele Betriebe entwickeln Anbausysteme schon weiter, oft mit Hilfe neuer Technologien. Gesellschaftlich relevante Vorteile für die Biodiversität, den Boden, Wasser oder gegen Rückstände in Lebensmitteln sind oft vorhanden, können aber nicht durch Konsumenten unterstützt werden. Warum? Die produzierte Ware wird kommunikativ auf den „großen konventionellen Haufen“ gekippt, statt die positiven Werte des Produktes über die ganze Wertschöpfungskette bis zum Verbraucher zu tragen.

Der Ausbruch aus der grünen Echokammer ist eine Herausforderung. Es lohnt sich aber, hier Kraft zu investieren. - Peter Breunig, Manuel Ermann

Landwirte sind durch neue Anbausysteme und Technologien ja längst in der Lage, mehr von den ökologischen Leistungen zu erbringen, die Konsumenten heutzutage fordern. Sie werden dafür nur nicht bezahlt, weil diese Leistung nicht auf dem Produkt abgebildet wird. Eine Rückverfolgbarkeit einzelner positiver Produkteigenschaften könnte das ändern.

Nehmen wir bspw. ein Start-up, das Mikroorganismen vertreibt, die – an das Saatgut gebeizt – zu höherer Stressresistenz, Nährstoffeffizienz und Pflanzengesundheit führen sollen. Das Unternehmen verkauft sein Produkt nicht einfach an Landwirte und hat sein Geschäft damit abgeschlossen. Es schaut, welche Produkte nachfolgend auf Basis dieses Anbausystems hergestellt werden und trägt deren ökologische Vorteile bis zum Endkonsumenten. Dann stünde auf dem Brot, dass für den enthaltenen Weizen weniger Pflanzenschutzmittel verwendet wurden. Erst der Nachweis durch die Rückverfolgbarkeit würde zu höheren Preisen in der ganzen Kette führen.

Hypothese 4: Dezentral eigene Marke aufbauen

Trotz aller Nachteile, wie Filterblasen und Fake News, ermöglichen soziale Medien die persönliche Kommunikation zwischen Landwirt und Verbraucher. Sie kann vertrauenswürdiger sein, als die zentrale Kommunikation von großen Institutionen und Verbänden.

Die Agrarbranche braucht Gesichter, mit denen sich die Gesellschaft identifiziert. Landwirte müssen ihre Nische finden, in ihrem Umfeld zu einer Marke werden und dies auch kommunizieren. Weg von austauschbarer Commodity, raus aus einer anonymen Existenz. Hin zu regionalen Spezialitäten, hin zu einem Landwirt, der sich empathisch in Diskussionen einbringt und dem zugehört wird. Vielversprechend sind Hofbesuche, zu denen über Facebook eingeladen wurde oder Erklär-Videos auf YouTube, Instagram oder auf Blogs.

Der Ausbruch aus der grünen Echokammer ist eine Herausforderung. Gesellschaftsorientierte Kommunikation ist alles andere als trivial. Es lohnt sich aber, professionelle Hilfe zu suchen und hier Kraft zu investieren. Das Profilbild auf Facebook zu modifizieren, darf nur der Anfang sein.

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