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Herwig Scholz: „Weniger Weidegang heißt auch weniger Insekten!“

Der Agraringenieur Herwig Scholz aus Schwalmtal am Niederrhein macht vor allem den Rückgang der Weidehaltung, fehlende Nutzung und falsche Bewirtschaftungsauflagen für den Insektenrückgang verantwortlich. Wir sprachen mit ihm...

Lesezeit: 5 Minuten

Zwischen 1989 und 2013 sind die Fluginsekten im Krefelder Naturschutzgebiet Orbroich um über 75 % zurückgegangen. Die Veröffentlichung dieser Zahl durch den Entomologischen Verein Krefeld im Herbst 2017 hat in Deutschland eine große Debatte über das Insektensterben ausgelöst. Viele machen die intensive Landwirtschaft und insbesondere die Düngung und den chemischen Pflanzenschutz für den Rückgang der Insekten verantwortlich.

Agraringenieur Herwig Scholz aus Schwalmtal am Niederrhein hält das für zu kurz gesprungen. Der Ökolandwirt im Nebenerwerb hat das Naturschutzgebiets Orbroich und seine Umgebung intensiv analysiert. Scholz macht vor allem den Rückgang der Weidehaltung, fehlende Nutzung und falsche Bewirtschaftungsauflagen für den Insektenrückgang verantwortlich.

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Aufgabe der Weidehaltung

Um 1989 gab es rund um das Naturschutzgebiet Orbroich noch 12 bis 15 landwirtschaftliche Betriebe mit Viehhaltung und Weidegang, hat Scholz ausgewertet. Gut 50% der Grünlandflächen im Orbroich seien damals beweidet worden. Heute existierten noch zwei Milchviehbetriebe. Von den 66 ha Grünland würden nur noch rund 1 ha beweidet.

„Das hat dramatische Folgen für einige Insektenarten. Es fehlen Kuhfladen. Auf jedem Kuhfladen können sich 200 bis 300g Insektenmasse entwickeln. Bei einem durchschnittlichen Weidebesatz von drei Vieheinheiten je ha, zehn Kuhfladen je Vieheinheit und Tag und einer Weidesaison von 200 Tagen ergibt das 1,2 bis 1,8 t Insektenmasse je ha“, rechnet der Agraringenieur hoch. Bei 25 bis 30 ha weniger Weideflächen fehlten damit in jedem Jahr rund 30 bis 54 t Insektenbiomasse.

Heute werde das Grünland zum großen Teil als zwei- bis vierschürige Wiesen genutzt, davon ein Teil als extensives Grünland. „Anders als bei der Beweidung verschwindet mit jedem Grünlandschnitt zumindest für einen Teil der Insekten schlagartig die Futtergrundlage. Das reduziert automatisch die Insektenbiomasse und zwar unabhängig davon, ob der Grünland intensiv oder extensiv genutzt wird“, ist der Ökolandwirt überzeugt.

Mit dem Strukturwandel hätten sich die Lebensbedingungen für die Insekten auch auf den Höfen mit Viehhaltung verschlechtert. „Die Misthaufen sind verschwunden, die Güllebehälter abgedeckt und umfangreiche Hygienekonzepte verhindern die Entwicklung von Fliegen im großen Stil“, erläutert. Scholz.

Nährstoffe fehlen

Das extensives Grünland nicht gekalkt werden darf, hält der Hobby-Insektenforscher für fatal. „Die Flächen versauern und der Klee verschwindet. Klee ist auf Knöllchenbakterien angewiesen, die unbedingt das Spurenelement Molybdän benötigen. Sinkt der PH-Wert zu stark, so wird Molybdän im Boden fixiert und die Knöllchenbakterien können keinen Stickstoff mehr binden“, zeigt Scholz die Konsequenzen auf. Mit dem Klee verschwänden dann auch viele Hummeln und Wildbienenarten, die auf die Blüten der Kleearten angewiesen seien.

Der studierte Pflanzenbauer sieht auch in der Aushagerung des Standorts ein Problem. Wenn man die Stickstoffzufuhr reduziere, verringere man nicht nur die Nährstoffbasis für die Pflanzen, sondern auch für Insekten. „Das reduziert die Reproduktionsraten und verhindert eine Massenvermehrung“, ist der Hobby-Biologe sicher. In der Konsequenz sinke die Insektenbiomasse.

Gemüsebau verschwunden

Im Umfeld des Naturschutzgebietes Orbroich gab es früher zwei Betriebe mit Gemüseanbau, heute keinen mehr. Die Betriebe bauten vor allem Salate und verschiedene Kohlarten an. „Die Wahrscheinlichkeit, dass es auf solchen Flächen immer wieder mal einzelne Sätze wegen zu starkem Schädlingsbefall aufgegeben wurden oder sich nach der Haupternte auf den manchmal noch wochenlang stehen gebliebenen Resten erhebliche Blattlauspopulationen aber auch Kohlweißlinge, Eulenschmetterlinge oder andere Kleinschmetterlinge wie Kohlmotten in erheblichem Umfang entwickeln, ist sehr groß“, vermutet Scholz auch im Verschwinden des Gemüseanbaus eine Ursache für den Rückgang der Insekten

Niederwald wird nicht mehr genutzt

Im Gegensatz zu heute seien früher die Forstflächen in unmittelbarer Nähe und im weiteren Umfeld des Naturschutzgebiets als Niederwald genutzt worden. Dabei habe man zum Beispiel auch stark beschattete Kleingewässer im Wald freigelegt und reaktiviert. Gleichzeitig seien erhebliche Nährstoffmengen im überwiegenden Erlenbruchwald freigesetzt worden. „Es gibt Untersuchungen, die eine bemerkenswerte Insektenvielfalt nach einer Niederwaldnutzung festgestellt haben“, berichtet Scholz, der auch Mitglied beim NABU ist. Wenn diese fehle, sinke auch Insektenbiomasse.

In Zukunft kaum noch Massenvermehrungen

Scholz vermutet das der Rückgang der Insektenbiomasse im Naturschutzgebiet Orbroich durch das Ausnahmejahr 1989 überschätzt würden. „In der Literatur ist 1989 als Massenvermehrungsjahr von Blattläusen und ihren Räuber bekannt. Deshalb ist dieses Jahr nicht das ideale Vergleichsjahr“, mahnt der Ökolandwirt zur Objektivität.

In Zukunft werde es solche Ausnahmejahre ohnehin immer seltener geben, erwartet Scholz. Durch den an Schadschwellen orientierten Einsatz von Insektiziden und Auswahl Nützlinge schonender Mittel gelinge es den Landwirten immer besser, z.B. ein Massenauftreten von Blattläusen im Getreide zu vermeiden. Auch das stabilisiere die Bestände allerdings auf niedrigerem Niveau.

„Im Naturschutzgebiet selber wird sich durch die größere Pflanzen- und Insektenvielfalt ein zunehmend stabileres ökologisches Gleichgewicht einstellen“, erwartet er. Das gelte in der Folge auch für die Insektenbiomasse, allerdings auf niedrigerem Niveau, weil es auch hier keine regelmäßigen Massenvermehrungen einzelner Insektenarten mehr geben werde. Das sei aber nicht besorgniserregend, im Gegenteil: „Der Rückgang der gefangenen Insektenbiomasse ist ein zentrales Indiz für ein gut entwickeltes Naturschutzgebiet, das sich im Gleichgewicht befindet“, argumentiert Scholz.

Fazit

„Für den vielerorts erkennbaren Insektenschwund gibt es nicht den einen herausragenden verantwortlichen Faktor. Es ist das Zusammenwirken vieler Faktoren und deren Wechselwirkungen“, ist sich der Ökolandwirt sicher. Die von der Gesellschaft schleichend hingenommene Aufgabe der kleinbäuerlichen Strukturen und die Zunahme der Forderungen, Ge- und Verbote in Richtung Landwirtschaft seien die eigentlichen Probleme.

Hinweis

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung einer längeren Ausarbeitung, die Sie unter www.bauerwilli.com finden. Diskutieren Sie mit: Wie beurteilen Sie die Argumentation von Herwig Scholz? Stimmen Sie zu oder sind Sie anderer Meinung?

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