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EU-Zulassungspraxis: „Wir bremsen nicht“

Die EU-Kommission fordert von Deutschland ein fristgerechtes Bearbeiten von Zulassungsanträgen. Dr. Jörn Wogram erklärt in der top agrar 8/2017, was das Umweltbundesamt (UBA) dafür tun will. Katastrophal fiel das Urteil der EU-Gutachter über die Arbeitsweise deutscher Behörden zur Zulassung von PSM aus...

Lesezeit: 6 Minuten

Die EU-Kommission fordert von Deutschland ein fristgerechtes Bearbeiten von Zulassungsanträgen. Dr. Jörn Wogram erklärt in der top agrar 8/2017, was das Umweltbundesamt (UBA) dafür tun will. Das Interview führt Matthias Bröker:


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Katastrophal fiel das Urteil der EU-Gutachter über die Arbeitsweise deutscher Behörden zur Zulassung von Pflanzenschutzmitteln im letzten Jahr aus. Kernproblem sind die Fristüberschreitungen beim Bearbeiten von Anträgen. Welche Punkte die EU im Detail kritisiert, haben wir in top agrar 6/2017, ab Seite 56 dargestellt.

 

Welche Maßnahmen die EU jetzt von den Mitgliedsstaaten fordert und wie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) als leitende Behörde für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln auf die Vorwürfe reagieren will, finden Sie in top agrar 7/2017 ab Seite 54. Nachfolgend haben wir das Umweltbundesamt befragt, wie es die Verfristung von Anträgen künftig vermeiden möchte.

 

Wegen des Zulassungsstaus stehen immer weniger Mittel zur Verfügung, die Landwirte für ihr Resistenzmanagement aber dringend benötigen. Welche Maßnahmen ergreift das UBA, um die Zulassungspraxis zu beschleunigen und die gesetzlichen EU-Fristen künftig einzuhalten?


Dr. Wogram:Die Legende vom „Wirkstoffschwund“ hält einem Faktencheck nicht stand. Vor zehn Jahren waren rund 250 Wirkstoffe zugelassen, heute sind es mehr als 270. Auch die Zahl der Produkte ist in dieser Zeit gestiegen.

 

Aber natürlich akzeptieren weder das UBA noch die anderen beteiligten Behörden die Terminüberschreitungen in den Zulassungsverfahren. Das UBA stellt noch in diesem Jahr zusätzliches Fachpersonal ein. Zudem wurde die fachliche Prüfung der Anträge gestrafft. Künftig werden sich die Kapazitäten noch stärker auf die Bearbeitung der Anträge konzentrieren.

 

Nur in einem Punkt lassen wir nicht mit uns reden: Bevor ein Mittel in Deutschland zugelassen wird, werden wir seine Auswirkungen auf die Umwelt auch weiterhin gründlich prüfen. Alle Pestizide sind biologisch wirksam und haben deshalb ein Gefährdungspotenzial für die Umwelt. Nicht jedes Mittel, für das eine Zulassung beantragt wird, erweist sich in der Risikobewertung auch tatsächlich als zulassungsfähig. Ein Durchwinken von Anträgen darf und wird es deshalb nicht geben.

 

Ein EU-Audit zur Überprüfung der Zulassungspraxis in Deutschland kommt zu dem Ergebnis, dass das UBA die Zulassungsentscheidungen eines anderen EU-Mitgliedsstaates ablehnt, statt sie im Sinne der Harmonisierung anzuerkennen. Warum weicht das UBA von dem in der EU geltenden Zulassungssystem ab?

 

Dr. Wogram:
Auch wenn es oft behauptet wird: Das EU-Pflanzenschutzrecht sieht gar nicht vor, Zulassungen eines anderen Mitgliedsstaates ungeprüft zu übernehmen. Eine Zulassung lässt sich nur nach Deutschland übertragen, wenn die Umweltbedingungen auch hier einen sicheren Einsatz erlauben.

 

Innerhalb der zentralen Zulassungs-Zone, zu der Deutschland gehört, gibt es große Unterschiede im Klima, bei den Böden oder im Vorkommen schützenswerter Tiere und Pflanzen. Diese wirken sich auf die Umweltrisiken eines Mittels aus, z. B. auf das Risiko von Einträgen in das Grundwasser. Oft ist das Ergebnis des UBA trotzdem positiv und es gibt seine Zustimmung zur Zulassung. Wenn wir anders entscheiden, dann aus gutem Grund. Nämlich, um das vom EU-Pflanzenschutzrecht geforderte hohe Schutzniveau für die Umwelt zu sichern. Es gibt daher keine Abweichung vom geltenden System in der EU.

 

Bei der Bewertung von Mitteln hinsichtlich der Ökotoxikologie und des Umweltverhaltens nutzt das UBA – laut EU-Audit – auch eigene, ungeprüfte Modelle. Was sind die Gründe dafür, sich nicht an die EU-Anforderungen zu halten, die das UBA doch selbst mitbestimmt?

 

Dr. Wogram: Hier hat das Auditteam nicht genau genug hingeschaut. Für viele Bewertungsfragen gibt es vor allem im Umweltbereich noch keine einheitlichen EU-Anforderungen. Deshalb greift nicht nur Deutschland, sondern auch jeder andere Mitgliedsstaat notgedrungen auf eigene Modelle zurück. Zurzeit gibt es z. B. noch kein allgemein anerkanntes Modell, mit dem sich der Eintrag von Pflanzenschutzmitteln in Gewässer abschätzen lässt.

 

Damit die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten in Zukunft reibungsloser funktioniert, müssen wir einheitliche Bewertungsmethoden schaffen. Deshalb arbeiten wir intensiv an EU-Bewertungsleitlinien mit. Dass die in Deutschland verwendeten Methoden der Risikobewertung weniger gut geprüft wären als andere Methoden, muss ich übrigens zurückweisen.


Wie wollen Sie die im Audit genannten Mängel beseitigen?


Dr. Wogram: Noch einmal: Das Ziel muss es sein, die Bewertungsmethoden und -maßstäbe zu vereinheitlichen. Daher investieren wir viel Zeit in die Mitarbeit an Bewertungsleitfäden und stimmen uns dabei mit den Partnerbehörden in den anderen Mitgliedsstaaten ab. Dafür gibt es mittlerweile regelmäßig sogenannte Harmonisierungs-Workshops.


Letztlich hat das UBA die Frage der Harmonisierung aber nicht in der Hand. Die Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission müssen sich auf einheitliche Standards zum Umweltschutz bei der Mittelzulassung einigen. Zurzeit liegen die Vorstellungen innerhalb der EU noch weit auseinander. Zum Teil bleiben neue Leitfäden in der Abstimmung zwischen den Mitgliedsstaaten stecken. Das betrifft z. B. einen Leitfaden der Lebensmittelbehörde EFSA zur einheitlichen Bewertung der Risiken für Wild- und Honigbienen und einen zum Umgang mit Saatgutbeizen, den Deutschland zusammen mit den Niederlanden, Frankreich und weiteren Partnern erarbeitet hat. Das Verabschieden solcher Leitfäden zu beschleunigen, ist Aufgabe der Landwirtschaftspolitik.


Welche Maßnahmen lassen sich zügig umsetzen? Können Landwirte damit rechnen, dass der Zulassungsstau bereits kurzfristig abnimmt?


Dr. Wogram: Damit die Behörden wieder termingerecht arbeiten können, müssen mehrere Maßnahmen zusammenwirken: Den Personalbestand aufstocken, die Arbeitseffizienz – auch in der Zusammenarbeit der Behörden – weiter steigern und unvollständige Anträge zügig abweisen.


Das BVL, das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das Julius Kühn-Institut (JKI) und das UBA haben ein Maßnahmenprogramm vereinbart, das sie nun umsetzen. Das UBA hat seit dem Auditbericht seinen Output an Zulassungsanträgen erhöht und wird ihn weiter steigern. Trotzdem lassen sich die Verfristungen nicht sofort beseitigen. Zügige Verbesserung bei der Termingerechtigkeit erwarten wir dort, wo es der Landwirtschaft am meisten nützt: Bei der erstmaligen Zulassung neuer Produkte und beim zügigen Abschluss von Verfahren, die sich bereits auf der „Zielgeraden“ befinden.


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Standpunkt: Der Wille ist da – so scheint es!

 

Ein Kommentar von Matthias Bröker:

 

Der EU-Auditbericht legt die Mängel in der deutschen Zulassungspraxis offen. Aber auch in anderen EU-Ländern sind Fristüberschreitungen bei Zulassungsanträgen an der Tagesordnung. Im Kern fordert Brüssel nun von den Mitgliedsstaaten, das rechtlich bindende EU-Zulassungssystem endlich anzuwenden. Weil Gutachter die Fortschritte in weiteren Audits prüfen, sind Verbesserungen auch wirklich zu erwarten.

 

Dafür spricht zusätzlich, dass sich die deutschen Behörden zusammenraufen wollen, um die gesetzlichen Vorgaben erfüllen zu können. Neben mehr Personal gibt es z. B. einen Aktionsplan, mit dem man die Harmonisierung vorantreiben will. Das Umweltbundesamt verspricht ein zügigeres Bearbeiten zuallererst bei neuen Produkten oder bei Verfahren, die fast abgeschlossen sind. Bleibt zu hoffen, dass die angekündigten Verbesserungen schon Ende des Jahres für die Praxis spürbar sind. Brüssel sollte weiter ein Auge darauf haben.

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